Mevlânâ Celâleddin-i Rûmî

ZUR SCHREIBWEISE: Wir verwenden hier die Umschrift aus dem Arabischen nach dem Transkriptionssystem der türkischen Islam Ansiklopedisi (IA), jedoch in vereinfachter Form, da gewisse Buchstaben nicht im Html-Code des Internet darstellbar sind. So kommt diese Schreibweise dem Neutürkischen nahe. Mevlânâ Celâleddin-i Rûmî wird in verschiedener Weise namentlich geführt. Mevlânâ ist ein im türksichen Raum oft verwendeter Beiname. Nach dem Englischen Transkriptionssystem(EI) wird Jalâl ad-Dîn-i Rûmî oder Maulana Jalâl ad Dîn Rûmî geschrieben, in der deutschen Form (DMG) Ǧalâl ad-Dîn-i Rûmî. Die gängigen, nichtwissenschaftlichen Schreibformen sind ohne Transkriptionszeichen und Izafetverbindung sowie manchesmal ohne Artikel:Mevlana Rumi, Celaleddin Rumi, Jalaladdin Rumi, Jalal ad Din Rumi, Dschelaleddin i Rumi.

TEIL 1

Mevlânâ Muhammed Celâleddîn-i Rûmî (30.Sept.1207-17.Dezember 1273) gehört zu den wichtigsten Sufis der islamischen Geistesgeschichte. Er wird König der Herzen genannt, da er die Gottesliebe mit außerordentlicher Hingabe gelebt und vermittlet hatte. Er wirkte in Rûm, Zentralanatolien, und vereinte die Khorasân-Kultur mit den Bedingungen im Westseldschukischen Reich der Epoche Kay Khosrov II.(m.1246) und 'Izzeddîn Kaykaus II. (m.1260) während der Mongolenstürme. Er hatte einen maßgeblichen Einfluß auf zahlreiche Sufi-Denker und Autoren und gründete den Orden der Mevlevî's, die im gesamten Osmanischen Reich das Kulturleben durch Musik und Dichtung bereicherten. Berühmt wurde Rûmî unter anderem durch seine tagelangen Semâ'-Drehtanzgebete, in denen er tausende Gazele und Rubai'-Gedichte schuf. Und schließlich ist da sein Hauptwerk, das Mesnevî-i Ma'nâvî, welches zu den größten Dichtungswerken der Menschheit gezählt werden kann. In ihm resümmiert er mittels iktibâs - Einfügung aus Qur'ân und Hadith und Sufi-Geschichten - viele von 'Attâr (m.1221) - seine Erfahrungen der Gottessuche und Ankunft. Die UNESCO hat ihm das Jahr 2007 gewidmet, und nach 800 Jahre zählen seine Werke zu den meistgelesensten Büchern der Welt.

Biographie Rûmî's
Rûmîs Familie stammt aus Balq im heutigen Afghanistan. Sein Vater Bahâeddîn Veled war ein Religionsgelehrter mit sufischer Lebensführung. Die Familie emigriert 1216, macht die Pilgerfahrt nach Mekka und verbleibt schließlich 7 Jahre in Lârende (Karaman) 150 km südöstl. von Konya (Türkei). Bahâeddîn erhält ein Lehrsitz in Konya, und nach seinem Tod übernimmt Celâleddîn-i Rûmî sein Amt. Er wird in neunjähriger asketischer Ausbildung durch den Freund Bahâeddîns und Sufi Burhâneddîn Muhakkik (m.1241) betreut und nach dem Ableben Burhâneddîns, begegnet Rûmî dem Derwisch Şemseddîn-i Tebrizî 1244 in Konya. Sie ziehen sich von der Öffentlichkeit zurück. Die Schülerschaft Rûmîs protestiert und intrigiert. Şems-i Tebrizî verläßt Konya nach 18 Monaten Aufenthalt und der sich nach ihm sehnende Rûmî bittet ihn zurückzukehren. Şems bleibt nochmals zwei Jahre und verschwindet sodann spurlos. Die Intrigen gegen ihn lassen vermuten, dass er ermordet worden ist. Rûmî durchgeht eine Katharsis aus der er nach zwei Jahren mit unendlicher Kreativität und Hingabe vermehrt die sufischen Inhalte in Dichtung und Drehtanz vermitteln beginnt. Er hatte Einfluß auf den seldschukischen Hof und seine Schülerschaft nahm stark zu. In den 60er und Anfang 70er Jahren schafft er das Mesnevî und verstirbt 1273 bevor er dieses Werk vollenden konnte. Sein Sohn Sultân Veled setzt die Lehrtätigkeit des Vaters fort und es formte sich der Orden der drehenden Derwische, der Mevlevî's.

Lebenswerk Rûmî's
Rûmî, der große Mystiker und begnadete Dichter, versucht in immer wieder neuen Anläufen das beinahe Unmögliche: Gott in Seiner Größe und Schönheit den Menschen beschreibend zu vermitteln. Seine persischen Verse sprühen von Lebendigkeit und authentischen Empfindungen. Berühmtestes Werk Rûmîs ist das mesnevî-i ma'nâvî mit ca 25.700 Verszeilen nach dem Doppelversstrukturen, wie sie 100 Jahre zuvor von Sanâ'i und 'Attâr als Lehrdichtung in die islamische Mystik eingeführt worden ist. Das Mesnevî behandelt in sechs Büchern mittels vieler kurzen Epsioden und Hinweisen aus Qur'ân und Hadithen wie der Mensch sich Gott anzunähern vermag. Das zweite große Werk Rumis, welches aber über schon in den 1240er Jahren begonnen wurde, ist der Sammelgedichtband, der Dîvân-i Şems, mit insgesamt 35.000 Versen, in dem er in in vielen Gedichten als Dichternamen (mahlas) Şems-i Tebrizî anführt. Im Dîvân werden in sehr direkter Weise Rûmîs mystische Trunkenheit und Hingabe zum Ausdruck gebracht. Die Hauptform darin sind gazel, qasîde und rubai'. Eine Aufzeichnung von einigen Lehrgesprächen, zumeist diejenigen, die am Hof der Seldschukenfürsten gehalten wurden, sind nachträglich schlicht fihi mâ fihi (Es ist drin, was drin ist) genannt worden. Frühere Predigten findet man in den mecâles-i seb'i (Sieben Sitzungen). Von historischer Bedeutung sind auch seine maqtubât (Briefe), zum größten Teil sind es Empfehlungsschreiben in persischer Sprache an Fürsten und Adlige zugunsten von Freunden, Familienangehörigen und Schülern.

Quellen
Chittik,William; Me and Rumi (Maqâlât-i Şems-i Tebrizi),Louisville 2004.
Gençosman, Nuri; Mevlânâ Rubailer,Mevlânâ Celâleddin, Ankara 1971.
Gölpinarlı, Abdülbâkî, Divân-i Kebîr, Mevlâna Celâleddin, 5 Bde;
Istanbul 1955-60;
Gölpınarlı,A., Ibtidâ-nâme, Sultan Veled, Konya 2001.
Konuk, Ahmed Avni; Risale-i Sipehsalar: Hazreti Mevlana'nın Menkıbeleri, Sipehsalar Mecdüddin Feridun, Istanbul 2005.
Lewis, Franklin D. , Rumi - Past and Present, East and West, Oxford 2000.
Nicholson, R.A., Masnavi-ye ma'navi, Rumi, London 1925, 1929, 1933.
O'Kane, John, The feats of the knowers of God, (Manâqeb al-'ârefîn),
Ahmad-e Aflâkî; Leiden 2002;
Schimmel,Annemarie, The Triumphal Sun: A Study of the Works of Jalâloddin Rumi, London 1980, u. New York 1993;
Schimmel, A., Von Allem und vom Einen, (Fîhi mâ-fîhi) Rumi, München 1988.


TEIL 2

Über diesen grossen Sufiheiligen wurde viel geschrieben. Wir wollen einem Sufimeister hier zu Worte kommen lassen. Es ist aus dem Buch von Rahmî Oruç Güvenç "Mevlânâ, Allah Sevdikleri", Istanbul 1973, in Übersetzung aus dem Türkischen. Erwähnt sei hier noch unsere Arbeit "Rumi, König der Herzen", die das Leben und Umfeld Rumis, wie auch sein Werk aus Orginalquellen zum Thema hat. Es wird ebenso im Verlag silsile angeboten.


Auszug aus dem Buch
des Rahmi Oruç Güvenç

"Mevlânâ und die Gottgeliebten "

Verlag silsile, Wien 2009
Alle Rechte sind beim Autor und Übersetzer

 

Der große geistige Führer Mevlânâ (1207-73), der zusammen mit seinem Vater Muhammed Bahaeddin Veled, der Sultan der Gelehrten genannt wurde, von Zentralasien nach Anatolien kam, wurde am 30.September 1207 in der Stadt Balch in Horasan geboren. Bahaeddin Veled musste aus verschiedenen Gründen von Balch emigrieren. Er und seine Familie, Celâleddin miteingeschlossen, kamen vorerst nach Bagdad und zogen sodann weiter nach Erzincan. Schließlich ließ sich Bahaeddin als Gast von dem Selcukenfürst Alaeddin Keykubat in Konya nieder.

In Konya und Umgebung gelangte Bahaeddin durch sein Wissen zu großem Ansehen. Der Lehrer von Alaeddin Keykubat, Emir Bedreddin Cevhertasch, reihte sich unter seine Schüler. Nach dem Tod Bahaeddin Veleds am 12.Jänner 1231 übernahm Mevlânâ das Lehramt seines Vaters. Mittlerweile hatte Mevlânâ unter der Fürsorge des Seyyid Burhaneddin Muhakkik von Tirmiz sein Wissen durch neun Jahre weiteren Unterrichts erweitertet. Miteingeschlossen waren Studien in Aleppo und Damaskus. Burhaneddin ermunterte Mevlânâ in die Freuden der Einheit einzutauchen. Jedoch erwies sich der Kalenderi-Derwisch Schems-i Tebriz als der wirkliche Quell der Segenskraft, und brachte Mevlânâ in die Nähe seines wahren Selbstes. Mit einer Lebenseinstellung, die von dem Gedanken der Einheit allen Seins durchwoben war, gelang es ihm in Mevlânâs zur Liebe hin geöffnetem Herz einzutreten, und mittels der vollbrachten Umwandlung in dessem Herzen übermittelte dieser bescheidene Derwisch der Menschheit dienliche Wahrheiten, die nicht durch die Unbeständigkeit der Zeit beeinflusst werden können. Wann auch immer Mevlânâs Name erwähnt wird, erinnert man sich ebenso seiner als den Mundschenk der Göttlichen Verzückung, und dies wird auch in Zukunft so sein. Wie das Ende jeder gipfelnden Freude wurde diese materielle und seelische Einheit von der materiellen Seite aus gelöst. Mevlânâs stark bewegte Periode begann durch das Verschwinden von Schems aus Konya und die Wahrheiten der inneren Liebe wurden enthüllt und in Gedichten, Gaselen und Vierzeiler wiedergespiegelt. Schemseddin Aflaki schreibt in seinem Werk „Das Wirken der Wissenden“:

„Da trafen sich der Pol der Abdal’s und Evtad’s, der Sultan der Wissenden, bekannt als der Goldschläger von Konya, Sohn des Yagha Hasan, Zerkûb genannte Scheich Selâhaddin Feridun und Mevlânâ und entrückten in die spirituelle Dimension. Mit dem Ende der Suche nach Schemseddin Tebrizî
und dem beginnenden Sehen seiner Geheimnisse in der eigenen Seele wählte Hz.Mevlânâ Hz.Scheich Selâhaddin als seinen engsten Freund und als Oberhaupt seiner Freunde. Er machte ihn zu seinem Stellvertreter, seinem Gefährten bei Versammlungen und zum innigsten Freund seines Rückzugs. Mevlânâ fand Frieden in seiner Existenz. Die Schüler lernten viel von dem Gesprächen der Beiden und die Eifersüchtigen gingen zugrunde. Zehn Jahre lang hatten die Freunde mühelosen Gewinn durch die Existenz dieses Meisters und der Mevlânâs. Stets ermunterte Hz.Mevlânâ seinen Sohn Sultan Veled, dem er
viel Gunst und Fürsorge zu teil werden ließ, die Freunde Gottes mit Respekt
und Würde zu behandeln und dem Scheich Selaheddin vollkommen zu dienen.
Er riet ihm, dessen Lehrgespräche nicht zu versäumen und sich die Mühe zu machen, bei seinen Gesprächen zugegen zu sein." Ariflerin Menkibeleri(AM),Aflaki,5:1

„In diesem Laden des Goldschlagens
ist ein Schatz aufgetaucht;
wie schön ist die Form,
wie schön ist der Inhalt,
wie schön, wie schön, schön wie eine Gottheit...“
AM 5:5

Nach dem Tod Selâhaddin Zerkubis schreibt Aflaki weiter:
„Der Beyazid und Cüneyd seiner Zeit, der Schlüssel zu den Schätzen des Gottesthrones, der Verwalter der weltlichen Schätze, dessen Existenz durch die guten Gewohnheiten des Propheten Muhammeds (Gottes Friede auf ihn) und der religiösen Verpflichtungen bestimmt ist, der Freund Gottes, der Fürsprecher der Freunde am Tag des jüngsten Gerichtes, Ahi Türks Sohn, genannt Hasan, dessen Sohn genannt Muhammed, dessen Sohn genannt Hüsameddin, der das Schwert Gottes und der Religion ist, erschien und hatte eine bedeutende Wirkung im Entstehen eines großen Segens und des Beginnes an der Niederschrift des Mesnevis.“ AM 6:1

„Oh Gottgeliebter Hüsameddin!
Mittels deines heiligen Lichtes überschreitet dieses Mesnevi
die Grade des im Himmel befindlichen Mondes.
Oh Ziel der Ziele, deine große Gunst vollführt dies,
wohin dies reichen wird, weiß nur Gott...“
Mesnevi(M)4:1-2

Mevlânâ erlangte die heilige Vereinigung am 17. Dezember 1273 in Konya. Ein Blick auf die Leute, die an seiner Begräbnisprozession teilnahmen - Gelehrte, Sufis, Ahî’s, Wanderderwische, Christen, Priester, Juden und Rabbis- zeigt, wie beliebt er war. Es zeigt aber auch, dass er von Gott auserwählt war und geliebt wurde.

Celâleddin-i Muhammed, der önig der Herzen, weist darauf hin, dass„Gedankenketten“, die normalerweise an der Oberfläche treiben, unter bestimmten Umständen tiefer gehen können und dadurch Verbindungen zu den Essenzen des Daseins aufzubauen vermögen. Diese Essenzen können auf die Oberfläche einwirken und diese disziplinieren. Er erläutert, dass das Essentielle eine Lebensweise ist, die von einem Wissen durchdrungen ist, welches jenseits der kathegorischen und oberflächlich beschränkten Vermutungen des Menschen existiert. Die notwendigen Überzeugungen und das Wissen hierüber sind jenen als Gnade gegeben, die dessen würdig sind, und die dieses Wissen nicht nur wollen, sondern auch das Recht erworben haben, es zu empfangen.

„Die Gemüter, die ohne Demut sind,
können das Geheimnis nicht erreichen.“ Rubailer(Rub) 448

Der erwähnte Zustand der Demut ist wie ein Strudel, der diejenigen anzieht, die das Wissen Gottes in der Schöpfung suchen. In der unendlichen Einheit erfüllt es sie mit Ekstase. Mevlânâ hat auch den Menschen, die nach dem einen und absoluten Wissen in dem Universum suchen, etwas zu berichten:

„In jenen Moment, wenn du deine Triebseele anklagst
und beherrschst, wird dir das Wissen
über die gesamte Entwicklung offenbar sein.
Diese Erscheinung, die nicht gesehen wird,
und die vom gesamten Universum gesucht ist,
wird im Spiegel deiner Gedanken zum Vorschein kommen.“ Rub 644

Um das essentielle Wissen zu erreichen, ist es notwendig das Ego, das sich hierbei in den Weg stellt, zu überwinden. Darum sind diese Ideen Mevlânâs zu jeder Zeit gültig und der Feind, der sich in Farbe, Form und Waffen weiter entwickelt hat, erweist sich stets als der selbige Feind:

„Wenn du deine Triebseele tötest,
wirst du von den ständigen Entschuldigungen
frei werden und du wirst im ganzen Land
keine Feinde haben.“ M 2:786

Wenn die Ganzheit erstrebt wird, ist es notwendig deren Feind besser zu kennen. Wenn der Teil, der hinsichtlich der Ganzheit von geringer Bedeutung ist, vor uns erscheint und die Teilaspekte unseren Geistesfrieden, unsere Meditation und Zufriedenheit stören, sehen wir, dass die Ursachen hiervon in unserem Wünschen und Wollen liegen:

„All diese Kümmernisse in unserem Herzen
entstammen dem Staub und Rauch unserer Existenz
und unserem ständigen Wünschen und Wollen.“ M 1:2296

„Der Himmel, der Mond, die Sonne -
sie alle werfen sich vor den Menschen nieder,
die von sich selbst befreit sind.“ M 1:3003

Jenen, die über das durchschnittliche Leben hinausgegangen sind, werden große Anerkennungen geboten, und es liegt in der Natur der Sache, dass diese Anerkennungen sich ein wenig von unseren herkömmlichen Vorstellungen unterscheiden:

„Salomon wurde nur darum arm genannt,
weil er die Liebe zu Hab und Gut
aus seinem Herzen gebannt hatte.“ M 1:991

Mevlâna, der sich den Gedanken der islamischen Mystik vom Herzen aus angeeignet hatte, verstand sehr gut die vahdet-i vücud, die als eine der Hauptcharakteristiken des Sufitums gilt. Er bewirkte, dass seine ihm Nächsten in Freude darin lebten und indem er die Hauptzüge dieses über vergangene Generationen übermittelte Wissen dargestellt hat, erleichterte er ebenso dessen Verständnis:

„Sohn, ..Gott umgibt alles.“ M 1:1487

Durch diese Worte bestätigte er die Existenz einer Kraft, die allerorts und unter jedem Umstand die Materie bestimmt.

Mevlâna betont, dass, wenn der Egoismus, der in jeglicher Hinsicht ein Hindernis ist, entfernt wird, und ebenso eine Befreiung vom Joch der Vereinzelung sich einstellt, die Göttlichen Wahrheiten in der Herzensdimension jener zu manifestieren beginnen, die sich dem inneren Göttlichen Wissen zuwenden. Es ist ein unmittelbares Wissen, dass aus der Quelle der inneren Mitte intuitiv gekostet werden kann. Dies geschieht nicht durch Eifer und Kampf, sondern ermöglicht sich durch das Aufgeben von Ehrgeiz und Vorsorge. Denn Ehrgeiz und Vorsorge haben ihren Ursprung in der Vermutung, die im Wahrnehmen und Erspüren der Einheit ein Hindernis ist. Es ist die Einheit, in der sich jede Person mit jedem Partikel des Universums in Gleichschwingung befindet. Mevlâna spricht davon, dass jede Art von Kalamität und Kummer von Begierde und Sinnenverhaftung herrührt. Diese wiederum stehen mit dem in diesem materiellen Universum geschaffenem Körper in Verbindung. Nur durch spirituelle Armut ist man davor bewahrt, im Weltenmeer der Menschen zu versinken und erreicht stattdessen eine wahrhaftige Sicherheit:

„Wisse, dass dieser Körper ein Kleid ist.
Geh und erforsche dieses Kleid,
und höre auf, dich daran zu reiben.
Der Körper ist des Geistes Kleid,
diese Hand ist wiederum von des Geistes Hand,
dieser Fuß ist der vom Geist getragene Gebetsschuh,
Du bist Besitzer eines körperlosen Körpers,
sodenn fürchte dich nicht, wenn deine Seele
den Körper verlässt.“ M 3:1610-13

Wie es sich gezeigt hat, weist dieser Sufi als Sultan der Herzen immerzu auf die errichtete Falle hin, in der Absicht einen davor zu bewahren, in diese hinein zu tappen. Dies ist seine Intention. Das Ego mit seiner Hinwendung zur körperlichen Existenz verursacht mit seinem „Warum“ und „Wie“, welche jede Art von Zweifel, Angst und Besorgnis nähren, die Vernichtung des Menschen und hält ihn von den Stationen der ihm würdigen Seinsmöglichkeiten ab. Dieses Ego verursacht mittels Verwirrung eine Entfernung vom Zustand der Zufriedenheit und wendet sich so der Gier nach Besitz, Lüge und Verleumdung zu.

Ein weiteres von Mevlâna kommendes Merkmal ist, dass er das Tor der Hoffnung hinter sich offen lässt. Durch Hoffnung fällt es einem leichter zu glauben:

„Die Propheten sprachen:
„Ja, Gott hat Eigenschaften geschaffen,
vor denen es weder Entkommen noch Ausweichen gibt.
Aber Gott hat ebenso aszendierende Eigenschaften
geschaffen, vor denen man Abstand nehmen kann.
Wenn eine Person, die sich den Hass aller anderen zuzieht,
von dieser hervorrufenden Eigenschaft Abstand nimmt
und ihre schlechte Angewohnheit aufgibt,
gewinnt sie hierdurch die Zuneigung aller
und jeder wird mit ihr zufrieden sein.“ M 3:2909-10

„Die Propheten sprachen:
In Hoffnungslosigkeit zu fallen ist schlecht.
Gottes Wohltaten und Barmherzigkeiten sind endlos.
Niemals ist es angebracht, hoffnungslos über den
Inhaber solcher Gnadengaben zu sein.
Ergreift diese Barmherzigkeit und klammert euch daran!
Wie viele Dinge gibt es, die am Anfang schwer zu sein
scheinen, sodann sehr einfach werden
und die Schwierigkeit geht vorüber.
Wie viele Sonnen gibt es jenseits davon!
Welch große Hoffnungen nach der Hoffnungslosigkeit...“
M 3:2922-25

Glaube und Hoffnung gehören zu den höchsten Qualitäten des Menschen. Wenn diese Qualitäten im Menschen die Möglichkeit zur Umsetzung finden, kann das vor ihm liegende Hindernis der individuellen Meinung und des Verstandes überwunden werden, und sodann treten Erstaunen und Bewunderung hervor:

„..oder wenn er nicht so sehr mit indirektem Wissen
angefüllt wäre, könnte er das intuitive Wissen eines
Heiligen erfassen.
So du in der Anwesenheit solch eines heiligen Lichtes
das Buch vor ihm öffnest, wird dein auf heilige Intuition
beruhender Geist dich zurechtweisen.
Wisse, dass gegenüber den Worten des Kutubs seiner Zeit
das indirekte Wissen der rituellen Sandwaschung gleicht,
während es Wasser gibt. Setz dich selbst in den Stand
des Narren, passe dich ihm an und schreite voran.
Nur durch die Narrheit kannst du gerettet sein!
Der Intellekt und die Klugheit machen dich stolz.
Sei ein Narr, sodass dein Herz im Rechten bleibt.
Die Narrheit, von der ich sprach, ist nicht die Dummheit
des Menschen, der fürs Volk eine doppelt Maskerade ist.
Diese Narrheit ist die Narrheit eines Menschen,
der über Ihn im Staunen ist.
Die Selbstvergessenen sind jene, die Josefs Gesicht sehen,
sie blieben in seiner Schönheit versunken.
Sind sie nicht jene, die sich durch den Anblick seines Gesicht
die Hände zerschneiden? Darum sind sie die Narren!
Opfere in der Liebe zum Freund den Verstand, denn
jegliche Vernunft kommt ohnehin von Seiner Richtung.
Die Vernünftigen haben ihren Verstand dorthin gesendet;
der Dumme, der nicht geliebt wird, bleibt auf dieser Seite!
Wenn im Erstaunen dein Verstand den Kopf verlässt,
entwächst jedem Haar deines Kopfes Verstand und Kopf.
Auf jener Seite sind keine rationalen Gedanken belastend,
denn dort sprießt aus jeder Pflanze und jedem Garten
Vernunft und Verstand. So du an dieser Pflanze
vorüber ziehst und du zu jener dort kommst,
wirst du geistreiche Bemerkungen vernehmen.
Wenn du zu den Weinbergen und Gärten dort gelangst,
wird dein Dattelsprössling saftig ergrünen!“ M 4:1416-28